Irgendwie zeitlos…
Das Lied „Russians“ von Sting ist eine Singleauskopplung aus seinem ersten Soloalbum „The Dream of the Blue Turtles“. Die Single wurde im November 1985 veröffentlicht. Sting bedient sich darin der Melodie aus dem zweiten Satz der Leutnant-Kishe-Suite des sowjetischen Komponisten Sergei Prokofjew, „Romanze“. Die Stimmen am Anfang des Liedes sollen vom Funkverkehr des Apollo-Sojus-Test-Projekts im Juli 1975 stammen, bei dem ein US-amerikanisches Apollo- und ein sowjetisches Sojus-Raumschiff in einer Erdumlaufbahn aneinander ankoppelten.
Der Text des aus vier Strophen bestehenden Liedes besteht aus verschiedenen Anspielungen auf die Zeit des Kalten Krieges. Er nimmt exemplarisch Bezug auf den früheren Ersten Sekretär der KPdSU, Nikita Chruschtschow, der als temperamentvoller Mensch beschrieben wurde. Ihm wird beispielsweise eine Szene während der UNO-Vollversammlung im Herbst 1960 zugeschrieben, bei der er in einer erregten Rede mit dem Schuh auf den Tisch gehämmert haben soll. Sting bezieht sich in der ersten Strophe des Liedes auf eine Rede Chruschtschows im November 1956, in der dieser gegenüber westlichen Diplomaten die Phrase „Wir werden euch begraben“ verwendete und damit auf das nach Chruschtschows Meinung überlegene kommunistische System gegenüber dem Kapitalismus in der westlichen Welt anspielte.
In der zweiten Strophe nimmt Sting auf den auch als „Vater der Atombombe“ bezeichnete US-amerikanische Physiker Robert Oppenheimer Bezug. Oppenheimer war wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekt zur Entwicklung und zum Bau einer Atombombe, das schließlich zu den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 führte. Sting sagte selber, sein kleiner Sohn habe ich einmal gefragt, ob es wirklich eine Bombe gäbe, die das Ende der Welt bedeuten könnte. Auch dies hatte ihn zum Schreiben des Stücks inspiriert.
In der dritten Strophe schließlich behandelt Sting die US-Administration unter Ronald Reagan, der 1980 die Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewann. In der US-Administration gab es Planspiele für einen begrenzten Nuklearkrieg gegen die Sowjetunion. Als Schutz vor sowjetischen Interkontinentalraketen wurde unter Reagan, der 1983 die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ bezeichnete und 1984 in einer Mikrofonsprechprobe vor einer Rede die bevorstehende Bombardierung der Sowjetunion verkündete, das SDI-Programm (Strategic Defense Initiative) begonnen.
Die Entstehung des Liedes fiel in eine Zeit, als der Kalte Krieg Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre infolge der Stationierung sowjetischer SS-20-Mittelstreckenraketen und des NATO-Doppelbeschlusses, der nach dem Scheitern der Genfer Abrüstungsverhandlungen zwischen den Supermächten Ende 1982 ab Ende 1983 zur Stationierung US-amerikanischer Pershing-II-Mittelstreckenraketen und Tomahawk-Marschflugkörpern in Westeuropa führte, wieder an Schärfe zugenommen hatte, erkennbar auch an der zunehmenden Kriegsrhetorik zwischen den Supermächten USA auf der einen und UdSSR auf der anderen Seite.
Die in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre beginnende Entspannung zwischen den Blöcken, die zu mehreren Abrüstungsverträgen zwischen den Supermächten führte und das Ende des Kalten Krieges einläutete, war zu der Zeit, als Sting das Lied schrieb und veröffentlichte, noch nicht absehbar.
Zu dem Lied inspiriert wurde Sting nicht nur durch die Frage seines Sohnes nach der „Bombe“, sondern auch durch eine Erfahrung, die er Anfang der 1980er-Jahre mit einem Freund in New York gemacht hatte. Dieser Freund besaß einen Satellitenempfänger, mit dem es möglich war, Signale von sowjetischen Fernsehsatelliten zu empfangen. Und so guckten die beiden mitten in der Nacht russisches Kinderfernsehen und Sting stellte fest, dass es sich bei den Russen auch um liebevolle Eltern handeln müsse und sie nicht die kaltblütigen Untermenschen waren, als die sie teilweise dargestellt wurden. Und auch Stings Erinnerungen an die Kubakrise im Oktober 1962, die er als gerade Elfjähriger miterlebte, werden sicherlich zum Inhalt des Liedes, einem Protestsong gegen den Kalten Krieg, in dem die nukleare Katastrophe eine permanente Bedrohung darstellte, beigetragen haben.
Sting hatte übrigens vor, das Stück zusammen mit dem Staatlichen Sinfonieorchester der Leningrader Philharmonie aufzunehmen. Dies hätte gut zu dem sinfonischen Thema Prokofjews gepasst, dessen sich Sting bediente, und ein völkerverbindendes Projekt sein können. Allerdings hatte er nicht mit der sowjetischen Bürokratie gerechnet – und so wurde mangels Einreisevisums nichts aus dem Projekt.
We share the same biology
Regardless of ideology
What might save us, me and you
Is if the Russians love their children too– „Russians“, Sting