50 Jahre Silvestertradition: „The same procedure as every year“

„The same procedure as last year, Miss Sophie?“ „The same procedure as every year, James.“ Diesen Dialog aus dem Sketch „Dinner for One“ (eigentlich: „Der 90. Geburtstag oder Dinner for One“) zwischen der alten Dame Miss Sophie und ihrem Butler James kennt wohl jeder.

Miss Sophie feiert auf ihrem Landsitz ihren 90. Geburtstag und hat dazu ihre alten Freunde Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom eingeladen. Da diese aber längst verstorben sind, muss der Butler nun nicht nur das Essen servieren, sondern auch die Rolle der Gäste übernehmen und mit Miss Sophie anstoßen. Serviert wird den Abend ein mehrgängiges Menü mit Mulligatawny-Suppe, Nordsee-Schellfisch, Hühnchen und als Nachtisch Obst. Da zu jedem Gang ein alkoholisches Getränk gereicht wird, Sherry zur Suppe, Weißwein zum Fisch, Champagner zum Hühnchen und schließlich Portwein zum Obst, und der Butler beim Toast jeweils für die vier imaginären Gäste einspringen muss, ist er im Verlaufe des Abends ziemlich angeheitert. Der steigende Alkoholpegel führt zu immer groteskeren Aktionen des Butlers, der auf dem Weg zur Anrichte regelmäßig über ein Tigerfell stolpert. Einmal läuft er am Tigerkopf vorbei, nur um dann auf dem Rückweg zum Tisch über den Kopf zu stolpern, einmal steigt er über den Tigerkopf und ein weiteres Mal hüpft er darüber. Neben der Szene mit dem Tigerfell gibt es weitere Running-Gags im Sketch, so das wiederholte Nachschenken des Getränks bei Sir Toby, das Zusammenschlagen der Hacken bei Admiral von Schneider und natürlich der „Same procedure as last year“-Dialog.

Der Butler James wurde von dem 1909 geborenen Freddy Frinton, die alte Dame Miss Sophie von der 1891 geborenen May Warden gespielt. Autor des Stücks war Lauri Wylie, der es in den 1920er-Jahren geschrieben haben soll. Der Sketch selber wurde wohl 1948 im The Duke of York’s Theatre in London uraufgeführt, kam vielleicht aber auch schon früher auf die Bühne. 1953 wurde er auch eine Zeit lang erfolgreich am Broadway in New York gespielt.

Frinton wurde das Stück wohl in den 1950er-Jahren vorgeschlagen (bisweilen sind auch frühere Daten zu lesen). Anfangs mochte er den Sketch nicht besonders, doch dann nahm er ihn in sein Repertoire auf und entwickelte ihn weiter. Er spielte den Sketch mindestens seit Mitte der 1950er-Jahre zunächst mit Audrey Maye, der Tochter von May Warden, auf verschiedenen Varieté-Bühnen im Vereinigten Königreich. Einige Zeit später gab Maye die Rolle an ihre Mutter ab, da sie selber auch mit ihrem Mann auf der Bühne stand und die Rolle altersmäßig besser zu ihrer Mutter passen würde.

Neben anderen Elementen gehörte auch das Tigerfell, über das Freddy Frinton immer wieder stolpert, nicht von Anfang an zum Stück. Der Bürgermeister einer Stadt, in der der Sketch aufgeführt wurde – laut Berichten soll es sich um Bexhill-on-Sea gehandelt haben –, soll ihm das Tigerfell als Requisite gegeben haben. Als dieser dann während des Stücks zufällig über den Tigerkopf stolperte, hätte das wohl für so viele Lacher gesorgt, dass er es als Gag in das Stück integrierte. Anderen Berichten zufolge habe Frinton das Tigerfell in einem Kolonialwarenladen, wiederum in Bexhill-on-Sea, entdeckt und gekauft, um es in den Sketch zu integrieren.

1962 sahen der Entertainer Peter Frankenfeld und der Regisseur Heinz Dunkhase den Sketch als Teil der im Pavilion Theatre des Winter Gardens in Blackpool aufgeführten Varieté-Vorstellung „Freddie Frinton Show“ und luden daraufhin Frinton und Warden in die Sendung „Guten Abend, Peter Frankenfeld“ ein. Am 8. März 1963 wurde der Sketch dort mit so großem Erfolg aufgeführt, dass der NDR die beiden Schauspieler für die Aufzeichnung einer Fernsehfassung einlud. Der Sketch wurde vom 30. April bis zum 4. Mai 1963 im Studio B des NDR in Hamburg-Lokstedt aufgezeichnet. Die Aufnahme fand vor Publikum statt, darauf hatte Freddie Frinton bestanden. Ein für die Aufführung als Requisite vom NDR bereitgehaltenes Eisbärenfell kam nicht zum Einsatz. Finton zog es vor, das eigene Tigerfell mitzubringen, da er hier die Höhe des Kopfes genau kannte und nur so seine zahlreichen Stolperer funktionierten. Die beiden Schauspieler erhielten für die Aufzeichnung eine Gage von 4150 DM. Das Stück auf Deutsch aufzuführen, lehnte Freddie Frinton übrigens ab. Er begleitete im Zweiten Weltkrieg britische Truppen zu deren Unterhaltung und hegte aus den gemachten Erfahrungen eine gewisse Abneigung gegenüber Deutschland. Als Hinweis auf diese Abneigung kann auch verstanden werden, dass James, wenn er die Stelle von Admiral von Schneider einnimmt, „Skål“ statt „Prost“ ausruft.

Bisweilen heißt es, das Stück wäre bereits 1961 in der NDR-Livesendung „Lassen Sie sich unterhalten“ zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gezeigt worden und 1963 im Hamburger Theater am Besenbinderhof, und zwar am 8. Juli, aufgenommen worden. Beim NDR ist aber die zuvor genannte Version der Entstehungsgeschichte des Sketches nachzulesen. Die Verbindung zum Theater am Besenbinderhof besteht wohl darin, dass von dort die Sendung „Guten Abend, Peter Frankenfeld“ übertragen wurde.

Die Aufzeichnung wurde in den folgenden Jahren immer mal wieder im Fernsehen gezeigt. Zu Silvester 1972 holte der NDR-Unterhaltungschef Henri Regnier die Aufnahme aus dem Archiv und ließ sie im Silvesterprogramm des Norddeutschen Rundfunks zeigen. Das war vor nun genau 50 Jahren. Seitdem wird der etwa 15-minütige Sketch einschließlich einer rund zweiminütigen Anmoderation durch den Schauspieler und Moderator Heinz Piper, in der er kurz in die Geschichte einführt, jedes Jahr wieder zu Silvester im Fernsehen gezeigt. Er wurde mit der Zeit so oft wiederholt, dass er 1988 sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als „am häufigsten wiederholte TV-Produktion“ erhielt.

Da es 1963 noch kein Farbfernsehen in der Bundesrepublik Deutschland gab, wurde der Sketch in Schwarzweiß aufgenommen. Nachdem 1967 das Farbfernsehen in der Bundesrepublik Einzug gehalten hatte, sollte er noch einmal in Farbe aufgenommen werden. Freddie Frinton verstarb jedoch überraschend am 16. Oktober 1968, so dass es nicht mehr zu der geplanten Neuaufnahme kam. Der NDR ließ die Aufnahme jedoch um die Jahrtausendwende nachträglich colorieren und zeigte die colorierte Version zu Silvester 2000. Diese kam bei den Zuschauern aber nicht gut an, so dass seitdem wieder hauptsächlich die schwarzweiße Originalversion gezeigt wird.

„Dinner for One“ läuft nicht nur im deutschen Fernsehen. Der Sketch wird auch in anderen Ländern, darunter Österreich, Belgien, Luxemburg, Dänemark, Estland und Australien zu Silvester ausgestrahlt. Außerdem ist er in den Niederlanden, Finnland, Irland, Spanien, Italien, Grönland, Südafrika und den ehemaligen Ostblockstaaten Ungarn, Jugoslawien und Bulgarien bekannt. Das Schweizer Fernsehen produzierte ebenfalls 1963 eine eigene und mit etwa elf Minuten etwas kürzere Version mit Freddie Frinton und May Warden, nachdem der damalige Unterhaltungschef Max Ernst den Sketch zufällig im deutschen Fernsehen gesehen hatte. Diese Aufnahme wird in der Schweiz, in Schweden und in Norwegen, hier bereits am Abend vor den Weihnachtsfeiertagen, ausgestrahlt. In Schweden wurde der Sketch 1969 zum ersten Mal im Rahmen einer Show mit den Höhenpunkten des Jahres im Fernsehen gezeigt. Davor wurde er wegen des Alkoholkonsums, der zum Trinken animiere, als für das Fernsehen ungeeignet angesehen. Und auch vom DDR-Fernsehen wurde der Sketch als „Erinnerungsmahl“ produziert und ab 1978 ausgestrahlt. Die Originalversion wurde dort 1988 erstmals ausgestrahlt. Im Vereinigten Königreich dagegen ist der Sketch vergleichsweise unbekannt. 2018 war er dort zum ersten Mal im Fernsehen zu sehen – ebenfalls zu Silvester.

Neben dem Original gibt es auch verschiedene nachgespielte Versionen des Sketches, darunter „Dinner for One – up platt“, „Dinner for One auf Hessisch“, „Dinner for One auf Nordhessisch“ und „Dinner op Kölsch“, die auch regelmäßig zu Silvester in den jeweiligen Bundesländern im Fernsehen ausgestrahlt werden. Eine plattdeutsche Version gibt es auch als Hörspiel, außerdem wird der Sketch auch immer wieder auf Theaterbühnen gespielt. In Restaurants gibt es Aktionen mit dem „Dinner for One“-Menü, oft zusammen mit einer Aufführung des Stücks und natürlich gibt es auch Rezepte zum Nachkochen. Dazu kommen diverse Fanartikel, ein Puzzle, ein „Dinner for One“-Spiel, Bücher, Münzen in Form von Gedenkprägungen und eine von der Deutschen Post im Rahmen der Serie „Deutsche Fernsehlegenden“ ausgegebene Briefmarke. Bei Google gibt es (vermutlich immer um den Jahreswechsel herum) ein „Easter Egg“: Gibt man „Dinner for One“ in die Suchmaske ein, wird mit den Suchergebnissen eine Infobox mit einem eingeblendeten Tigerkopf angezeigt. Klickt man auf den Kopf, erscheint zunächst ein Tigerfell und kurz darauf der Butler. Der Sketch wurde auch mehrfach parodiert.

Die UFA plant eine sechsteilige TV-Serie, die die Vorgeschichte zum „Dinner for One“ erzählt. Und noch eine Bemerkung am Rande: Die Stadt Bremerhaven sucht seit einigen Jahren ein geeignetes Gebäude für eine Ausstellung mit dem Nachlass von Freddie Frinton. Bremerhaven unterhält eine Städtepartnerschaft mit der englischen Stadt Grimsby, dem Geburtsort von Freddie Frinton.

„Alles zum Silvester-Klassiker“ gibt es auf der Website des NDR. In der ARD-Mediathek ist die Originalversion jederzeit abrufbar.

Bei Youtube gibt es offenbar nur die Version des Schweizer Fernsehens, nicht aber die Aufnahme des NDR.

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